Am 22. März 2019 richtet die Grünen-Politikerin Aline Trede bei einer Parlamentssitzung eine Interpellation an den Bundesrat, da sie der Meinung ist, das Datum der Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 sollte zum nationalen Feiertag erklärt werden, selbst wenn es den aktuell geltenden 1. August ersetzen würde.

Prioritäten setzen bedeutet Zugeständnisse machen

Die Erde ist der Boden, auf dem sich das Recht materialisiert. In diesem Sinne symbolisiert der 1. August jenes historische Ereignis, als mehrere Gemeinschaften beschlossen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, ohne dass sie inmitten eines Reiches lebten. Über seine Materialität hinaus ist das Gebiet, in dem wir leben und verwurzelt sind, zugleich jener Ort des Rechts, an dem die Bewohner dessen Gesetze ausüben. Dieser Aspekt der Selbstähnlichkeit, der in seiner Ausdehnung abwandelbar ist – und zwar vom Imperium zum Königreich, vom Königreich zur Region, der Region zum Tal und dann zum Dorf – lässt sich auf die Personen Mann, Frau und Kind reduzieren. Als untrennbar miteinander verbunden gilt das Gebiet als Teil des «Ichs», in dem das Individuum, dessen Bestimmung es ist, erwachsen zu werden, Gesetzgeber über seinen eigenen Körper ist. Vergewaltigung ist daher eine Kriegserklärung, da der Vergewaltiger seinem Opfer, das er als seine Beute betrachtet, jegliches Recht auf genau die Selbstgesetzlichkeit abspricht, die bereits seit dem Kindesalter implizit in uns verankert ist. Wer die Symbolik einer territorialen Unabhängigkeit beseitigt, verleugnet jegliche Grundlage der Selbstbestimmung, sei es einer Gesellschaft oder eines Individuums. Der 1. August ist daher sowohl in seiner zeitlichen als auch in seiner strukturellen Einordnung der erste notwendige Schritt für die Schaffung unserer Gesellschaft und ihrer Werte: Denn weder Rechte noch Werte können zu Schrift und Geist werden, wenn kein Territorium vorhanden ist.

Verfolgen wir nun den Weg zur Einführung des ersten Gesetzes nämlich dem der natürlichen und produktiven Familie. Das bewährteste anthropologische Modell, das seit dem Beginn unserer Existenz, also seit etwa 300.000 Jahren, fortbesteht, ist das Modell der heterosexuellen Familie, die in der westlichen Gesellschaftswelt des 21. Jahrhunderts kaum noch Wahrnehmung findet. Dabei hat es die Unbeständigkeit und Widrigkeiten unserer Welt überstanden, die Launen des irdischen Lebens mit all den Seuchen, zerklüfteten Geländeformen und Klimaschwankungen… All diese Übel sind im letzten Jahrhundert in dieser wunderbaren Welt der Bürokratie stark zurückgegangen. In diesem heiligen Ort hat sich das ursprünglich auf Jungen beschränkte Peter-Pan-Syndrom, also die Verweigerung des Erwachsenwerdens, nun auf bösartige Weise auf das weibliche Geschlecht ausgeweitet und Frauen eine ähnliche Gesinnung eingehaucht. Natürlich, produktiv, jedoch so ungeliebt, bildet dieses Paar den Kern einer jeden Gesellschaft, sei es mit oder ohne Staat. Aber erklären Sie das bitte einmal den Kindern!

Das zweite Gesetz befasst sich mit dem Wertefeld. Dieses Gesetz von höchstem Belang ist die Abschaffung der Sklaverei: Ausgangspunkt ist ein Verbot, einen Menschen als bewegliches Gut zu betrachten, das von anderen Individuen gehandelt und zerstört werden kann, sowie die Abschaffung des sozialen Status, der aus diesem Zustand resultiert. Dieser Zustand liegt keiner Abgrenzung zugrunde: Der Ältere kann Sklave des Jüngeren sein und umgekehrt, die Frau kann Sklavin des Mannes sein und umgekehrt, das Kind kann Sklave des Erwachsenen sein und umgekehrt. Zwei Paare aus jeweils Mann und Frau, können von Grund auf gleichberechtigt sein, während der eine Sklave des anderen ist. Dieser Grundsatz ist also alles andere als selbstverständlich, wie das Deutschland der 1920er und 1930er Jahre und dem damals geltenden aktiven und passiven Frauenwahlrecht zeigt: Mit solch schwachen Fundamenten, die in diesem Fall seit mehreren Jahrzehnten vorhanden waren, kann sich die Gesellschaft auf chaotische und extrem gewaltsame Weise entwickeln, wobei die schlimmsten Abscheulichkeiten der Menschheit aus einem Dämmerschlaf erwachen.

Als nächstes folgt die Schulpflicht für alle Kinder. Mit diesem dritten Gesetz werden Familien, Gemeinschaften und Gesellschaften dazu verpflichtet, all ihre Kinder in die Schule zu schicken. Anders ausgedrückt muss sie sich so organisieren, dass sie durch die Schule in die Zukunft, das Ungewisse schlechthin, investiert, indem sie junge, unmittelbar verfügbare Arbeitskräfte in eine öffentliche Bildung in einem ausserfamiliären Rahmen einbindet. Dabei geht es darum, sich eine Gruppendisziplin und ein effektives Wissen anzueignen, damit ein Einzelner oder eine Gruppe von Einzelnen unter den besten Bedingungen mit Ungewissheiten umgehen, ein Projekt unter günstigen Voraussetzungen durchführen und zeitnah und effektiv Ansprüche geltend machen kann. Genau wie beim zweiten Gesetz gibt es auch hier keine Ausgrenzung, denn unter dem Begriff “Kinder” sind alle Kinder zu verstehen, unabhängig von ihrem Wesen und ihrer sozialen Herkunft.

Das Territorialgesetz, die natürliche Familie, das Verbot der Sklaverei und die Schulpflicht bilden das wesentliche politische Fundament für die Errichtung einer Demokratie in ihrer Gesamtheit. Sobald sich stabile bürgerliche und politische Gesellschaften gebildet haben, können die Menschen positive Werte auf sie übertragen. Die wichtigste dieser Freiheiten ist die Meinungsfreiheit: Sie stellt ein Sprungbrett für innovative Ideen dar, deren positive Wirkung darin besteht, die territorialen Grundlagen und verbindlichen Gesetze zu festigen, ohne die Unumkehrbarkeit dieser Entwicklung zu garantieren. Die technologische Entwicklung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau sind das Ergebnis eines geglückten Gesinnungswandels, der sich aus einer Bewusstseinsbildung sowie der Äusserung von Meinungen und klaren Forderungen ergibt. Dabei besteht eine Gegenseitigkeit zwischen dem Fordernden und dem Adressaten, die jeden möglichen Rückschritt verhindert.

Die Fokussierung auf ein solches Schema führt zu einer Einbahnstrasse. Denn es ist unmöglich, den Grundstein für die Umsetzung von Werten zu legen, und zwar beginnend mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau, dann der Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, der Entwicklung der Technologie, der Einführung der Meinungsfreiheit und Schulpflicht, der Abschaffung der Sklaverei sowie der Schaffung der natürlichen Familie, wenn erst zum Schluss ein Gebiet gegründet wird, in dem diese Gesetze und Werte umgesetzt werden. Dass Werte Hoffnung machen und ihre Anhänger dazu bringen, ihre Energie zu bündeln, ist natürlich historisch belegt und sogar eine ontologische Tatsache. Oftmals geht die Idee der Umsetzung voraus; jedoch ist die Umsetzung dieser Idee ein schwieriger Vorgang, der oftmals im Widerspruch zur ursprünglichen Idee steht, da sich diese nach einer näheren Untersuchung als vorgefertigt erweist. Die Umsetzung einer Idee und ihre Tragfähigkeit unterliegen einem ständigen Feedback-Prozess, der die Initiatoren eines solchen Projekts immer wieder auf die Probe stellt. Eine politische Idee unbedingt umsetzen zu wollen, setzt von vornherein die Fähigkeit voraus, eine perfekte Wahrnehmung der Realität zu haben, und ist in Summe ein kaum verhüllter Anspruch auf Allwissenheit, bei dem sich die Initiatoren zumindest unterschwellig als von göttlicher Natur betrachten. Eine solche Systemabschottung kann zu derartigen Extremen führen, und genau das erleben wir momentan.

Grund für solch einen reaktionären Vorschlag

Die Grünen-Politikerin Aline Trede befindet sich wie ihre Glaubensgenossens in einem völlig reaktionären Denkschema, das aus einer sowohl emotional als auch normativ von der Realität losgelösten Haltung resultiert.

Diese emotionale Seite wird zuweilen unterbewertet und missverstanden, da sie in uns allen lebt. Der geschichtliche Hintergrund einer solchen Entwicklung und die Tatsache, dass dies aus einer Verbindung zwischen Natur und Mensch, Geist und Materialität resultiert, bei der zwingende Gesetze den positiven Gesetzen vorausgehen, sind in den Augen der frommen Umweltschützer eine unerträgliche Absurdität. Wie bereits erwähnt, drückt dieses Peter-Pan-Syndrom, das sich auf einen ganzen Bereich der weiblichen und männlichen Gesellschaft ausgedehnt hat und den ich als “Hypergesellschaftlichkeit” (hyper social engineering) bezeichne, nichts anderes als die Fortführung dieses voradoleszenten Geisteszustands aus.

Die schützende und abschirmende Struktur des natürlichen Prinzips von Geburt, Fortbestehen und Tod ist die Hyperbürokratie und ihre Denkweise, die den evolutionären Ableger einer Gruppierung hervorgebracht hat, die von sich behauptet, frei von jeglicher Transzendenz und Realität zu sein. Daraus ergibt sich zwangsläufig eine reaktionäre und dogmatische Haltung der Anhänger, denn niemand darf die absolute Ruhe einer solchen Rasse stören, die sich im narzisstischen Spiegel des Ruhmes betrachtet. Ja, genau dieses sowohl magische als auch tragische Wort: die “Rasse” derer, die regieren, führen, herrschen.
 

Und so wird jeder, ob Mann oder Frau, der an diese unerträgliche Realität erinnert, sofort als Kapitän Hook wahrgenommen, jener Spassverderber, der das Erwachsenenalter symbolisiert. Denn unser aller Schicksal ist es, erwachsen zu werden und es dann auch zu bleiben; darin liegt die Herausforderung eines jeden Menschen angesichts der Unvorhersehbarkeit der Welt, die uns zum Leben erweckt hat.

Mit Blick auf den normativen Aspekt lässt sich feststellen, dass die zwingenden Gesetze die Traumwahrnehmung mittels “hypersozialer” Dogmen verletzen, deren Massstäbe sich im Widerspruch zu genau dieser Realität abzeichnen. Die chronologische Logik der Gesetze, bei der die Gebietszugehörigkeit die Grundlage darstellt, wird als untragbar empfunden. Diese flüchtige Sichtweise, die unsere frommen Grünen fälschlicherweise als Hyperrealismus ansehen, veranlasst sie zu einer zwanghaften Ausblendung aller Aspekte oder Bezüge auf eine transzendente Hierarchisierung, bei der das Rechtssubjekt das Individuum ist. Ihre normativen Hirngespinste bewegen sich in der Vorhölle einer realitätsfremden Gesetzgebung, ohne Rücksicht auf die Lebenswirklichkeit und die menschlichen Dramen, die sie hervorbringen können. Mit der Beseitigung dieser Unterwerfung besteht die Gefahr einer Rückkehr zu den dunkelsten Aspekten der menschlichen Natur. Denn wer von der göttlichen Vorsehung geleitet vom Baum der Erkenntnis isst, steht in nur allzu grosser Versuchung, seine absolute Vision durchzusetzen, und ist dabei überzeugt, im Namen des Guten zu handeln.

Die Entwertung der Territorialität, also die Übernahme der Kontrolle über unser eigenes Schicksal unabhängig vom jeweiligen Imperium, selbst wenn es sich um ein bürokratisches Imperium handelt, bedeutet nicht nur das Ende der Existenz des besagten Territoriums, sondern ist auch das Todesurteil für unsere Werte und unsere tief verwurzelten demokratischen Institutionen.

Eine kurze Prosa als Antwort auf die Grünen-Politikerin Trede:

Ich lehne diese Salbung ab,
Im Grunde so reaktionär,
Die der kleine Peter Pan
Grün von Land wie von Ton,
Hat lauthals schreiend gebilligt
Ohne den Horizont herauszufordern.

Auteur : Jean-Marc Pauli

Quelle:

Website des Parlaments: www.parlament.ch

Interpellation 19.3361: 19.3361 | Einführung des Frauenstimmrechts. Nationaler Feiertag am 16. März? | Betreff | Das Schweizer Parlament (parlament.ch)